Mitten in Aurich steht die Lambertikirche.

Ihlower Altar

Ihlower Altar
Foto: Gawlick-Daniel
„Der Ihlower Altar ist ein Werk von kulturgeschichtlich hohem Rang.“ So lautet das Urteil von Günther Robra, dem wohl besten Kenner dieses Kunstwerks.

Der Blick des Betrachters, der die Kirche durch den Haupteingang betritt, fällt sogleich auf den Altar. Dieser ist der eindruckvollste und zugleich älteste Gegenstand in unserer Kirche. Neben der Kanzel steht er vor der breiten Nordwand der Kirche. Nichts lenkt den Betrachter davon ab, sich in die Darstellungen im Schnitzwerk oder in die Gemälde auf den Flügeln zu vertiefen. Die auf der Rückseite eingebrannte Hand als Werkstattzeichen und der eingebrannte Turm als Beschauzeichen weisen den Altar als ein Werk der Lukas-Gilde in Antwerpen aus. Zahlreiche Altäre aus dieser Werkstatt finden sich außer in Belgien und den Niederlanden vor allem im Rheinland, an der Nord- und Ostseeküste und in Skandinavien bis nach Finnland. Unser Altarretabel wurde zwischen 1490 und 1505 für das damalige in der Nähe Aurichs gelegene Zisterzienserkloster in Ihlow angefertigt, weshalb es auch „Ihlower Altar“ genannt wird. Aber bereits 1529 verließ in Folge der Reformation der letzte Mönch das Kloster, welches bald darauf abgebrochen wurde. Graf Enno II. holte den Altar nach Aurich, stellte ihn in der Kapelle seines Schlosses auf und ersparte ihm so das Schicksal vieler mittelalterlicher Kirchengegenstände in den Reformationsjahren, nämlich ihre Zerstörung. Etwa 100 Jahre später schenkte Graf Ulrich II. (1628 – 1648) ihn der Auricher Stadtkirche, in der er seitdem steht.

 

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Der Altarschrein ist ein Klapp- oder Wandelaltar mit einem überhöhten Mittelteil; er hat zwei Ansichten. Bei geöffneten Flügeln zeigt sich die Festtagsseite. Vergoldete und bemalte Schnitzfiguren unter prächtigen spätgotischen Maßwerkbaldachinen vergegenwärtigen die Heilsgeschichte. Die Ankündigung der Geburt Jesu (die Figur der Maria fehlt seit langem), die Begegnung von Maria und Elisabeth, die Geburt und die Beschneidung Jesu mit der Namensgebung sind in vier kleinen Nischen an der Basis des Schreins dargestellt. Jesu Passion ist auf Konsolreliefs, Tafelbildern und Gruppenplastiken verteilt. Einzug in Jerusalem und Jesus im Garten Gethsemane sind auf Konsolen am Rande des Schreins mit der Kreuztragung zu sehen; auf großen Tafeln finden sich Darstellungen der Gefangennahme und Jesus vor Pilatus, auf einer kleinen Tafel Jesus vor Kaiphas und Hannas. Im Mittelteil wird dem Betrachter die Kreuzigung vor Augen gestellt; eine Vielzahl von Menschen ist anwesend: neben Jesus die Schächer am Kreuz, darunter römische Soldaten im Gewand mittelalterlicher Landsknechte, weiter unten Maria mit den Frauen und Johannes, die Jesu Tod beklagen. In der darunter befindlichen Nische haben Joseph von Arimathia und Nikodemus den Leib Jesu vom Kreuz abgenommen; die Frauen beweinen ihn. Im rechten Schreinfeld steht der Auferstandene vor dem leeren Grab, das Erschrecken der Grabwächter ist eindrucksvoll dargestellt. Im Hintergrund erscheint der Auferstandene der Maria als Gärtner. Diese Szene findet sich noch einmal auf der kleinen Tafel rechts oben. Auf den beiden großen Tafeln rechts sind Christi Himmelfahrt und die Ausgießung des heiligen Geistes dargestellt. Die sieben Sakramente als Früchte des göttlichen Erlösungshandelns sind als Reliefs auf Konsolen an der Innenseite der großen Kreuzigungsdarstellung zu sehen. Die mehrfache Darstellung des Gekreuzigten wie auch die äußeren Umrisse des aufgeklappten Retabels legen es nahe, den Altar als Passionsaltar anzusehen. Sämtliche Teile mit Ausnahme der 1961 hinzugefügten Predella und der nachgearbeiteten Krippe mit dem Jesuskind sind Originalteile.

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Auf der Außen- bzw. Rückseite des Altars sind Aussagen zur Eucharistie, d.h. zum Abendmahl dargestellt. Da im Kloster täglich die Eucharistie gefeiert wurde, ist davon auszugehen, dass die Außenansicht – der geschlossene Zustand des Altars – die Werktagsseite war und dass er nur an besonderen Festtagen geöffnet wurde. Das Bild auf der rechten Seite zeigt die Einsetzung des Abendmahls durch Jesus bei seinem letzten Mahl mit seinen Jüngern (Matth. 26). Die Tafel auf der linken Außenseite zeigt, wie Abram von Melchisedek, König von Salem, gesegnet und mit Brot und Wein gespeist wird (1.Mose 14). Im Neuen Testament (Hebr. 7) gilt Melchisedek als prophetische Vorankündigung des wahren Priesterkönigs Jesus Christus, und so wird diese Speisung als das alttestamentliche Vorbild des neutestamentlichen Abendmahls angesehen. Die Darstellung auf den vier Tafeln in der Mitte nimmt das Thema Eucharistie unter einem weiteren Gesichtspunkt auf, der angesichts der flächenmäßigen Größe dieser Darstellung offensichtlich hier das Hauptgewicht der Aussagen bildet. Günther Robra schreibt zusammenfassend dazu: „Ort der Handlung ist die Krypta der Kirche zum Heiligen Kreuz von Jerusalem in Rom. Papst Gregor (540 – 604) kniet während der Messe vor dem Altar. Verschiedene Legenden berichten, wie eine im Gottesdienst anwesende Person bezweifelt, dass Christus in Brot und Wein tatsächlich gegenwärtig ist. Auf Gregors Bitte erscheint Christus als der Auferstandene selbst auf dem Altar. Um ihn sind Personen und Geräte, die in Verbindung zum Passionsgeschehen stehen. Das sind Petrus und die Magd des Hohenpriesters aus der Verleugnung, sowie die Laterne aus der Gefangennahme Christi, Nägel und Hammer aus der Kreuzigung, Zange und Leiter aus der Kreuzabnahme. Das Bild stellt zwei Wirklichkeiten gleichzeitig dar, die Situation in der Kirche und die Vision Gregors, die durch den gelb-roten wolkenumkränzten hellen Schein herausgehoben ist. Ein älteres Andachtsbild, das in verkürzt symbolischer Form die Passion darstellt, wurde mit der Legende des Papstes Gregor verbunden. Dieser Bildtypus erscheint im 15. Jahrhundert und findet in den folgenden hundert Jahren eine weite Verbreitung, war mit ihm doch ein Ablass von Kirchenstrafen verbunden“ (Faltblatt, S.6). Eine kleine Besonderheit findet sich auf unserem Altarbild: in dem Geistlichen im roten Gewand, der dem Papst assistiert, ist, wie manche vermuten, der Abt von Ihlow dargestellt. Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass die Zisterzienser in Weiß gekleidet waren.

Quellen: Delbanco, Hillard, Kirchenführer Lamberti-Kirche Aurich, Aurich 2006 Robra, Günther, Der Ihlower Altar, o.J. (ca.1990), achtseitiges Faltblatt Derselbe, Der Ihlower Altar in der Lamberti-Kirche: Historische Information und theologische Botschaft. in: Passion und Propaganda, Ostfriesische Altarbilder in Religion und Kunst, Aurich 2001, S.14ff;