Mitten in Aurich steht die Lambertikirche.

Lambertiturm

Lambertiturm02
Foto: Gawlick-Daniel

Ein wenig abseits steht der Glockenturm der Lamberti-Kirche, der zugleich das Wahrzeichen der Stadt Aurich ist. Seine Höhe beträgt ca. 35 Meter. Der untere Teil lässt seine ursprüngliche Form noch erkennen: die längst zugemauerten Schallöffnungen lassen auf ein Glockenhaus mit einem Mauerwerk von rund 10 Metern Höhe und einem darauf befindlichen Satteldach schließen. Als Erbauungszeit wird das Ende des 13. Jahrhunderts angenommen (Meinz). Glockenhäuser dieses Bautyps, die genaugenommen nicht als Glockentürme zu bezeichnen sind, finden wir bei vielen alten Kirchen in Ostfriesland. 1656 wurde der Lambertiturm auf seine endgültige Höhe gebracht, indem ein zweites Stockwerk aus Steinen auf das Mauerwerk aufgemauert und der zierliche Turmhelm aufgesetzt wurde. In der oberen Turmgalerie befinden sich zwei kleinere Glocken. Sie schlagen in Verbindung mit dem Uhrwerk die Viertel- bzw. vollen Stunden an; auch läuten sie um 12 Uhr das Mittagsgeläut, um 18 Uhr das Feierabendgeläut und um 21 Uhr das „Rüm-Straat-Lüden“. In der Glockenstube im oberen gemauerten Teil des Turms hängen vier große Glocken. Sie werden im Zusammenhang mit Gottesdiensten geläutet. Die älteste und größte Glocke (auf D gestimmt) stammt aus dem Jahr 1717 und wurde von dem ostfriesischen Glockengießer Mammeus Fremy gegossen. Die drei anderen Glocken wurden 1969 als Ersatz für die in beiden Weltkriegen abgelieferten älteren Glocken aus der Gießerei Otto in Bremen angeschafft. Das Geläut stimmt in seiner Tonhöhe mit dem der nahe gelegenen katholischen St. Ludgerus-Kirche überein.

Eine Besonderheit ist das Beiern vom Lambertiturm. Dabei wird nicht die Glocke geläutet, sondern sie hängt unbewegt, aber der Klöppel wird mit Hilfe eines an ihm befestigten Seiles an den Glockenmantel gezogen und dieser durch den Anschlag zum Klingen gebracht. Die Glocken werden in kurzen Abständen in einem festen Rhythmus in der Tonfolge GG – AA – DD – EE zum Klingen gebracht, etwa 15 Minuten lang. Dieser Brauch stammt aus vorreformatorischer Zeit und war früher in sehr vielen Gemeinden an der Nord- und Ostseeküste bis in den Danziger Raum und in Skandinavien verbreitet. Mit dem Aufkommen der elektrischen Läuteanlagen Mitte des 20. Jahrhunderts wurden keine Männer mehr für das von Hand ausgeführte Glockenläuten benötigt, und damit fand auch das Beiern ein Ende. Die Lamberti-Gemeinde ist die letzte Gemeinde in Ostfriesland, in der dieser Brauch dank des Einsatzes einiger kräftiger junger Männer noch lebt. Am Mittag und am Abend vor dem 1. Advent und vor den Hohen Festtagen (Ostern, Pfingsten Weihnachten) sowie am Morgen dieser Tage und an Silvester und Neujahr wird gebeiert.

Beiern
Beiern mit Dieter Gebhardt. Foto: Gawlick-Daniel
Betglocke

Eine weitere Besonderheit ist die Betglocke. Täglich schlägt um 8.00 Uhr und um 16.00 Uhr nach dem Stundenschlag dreimal eine Glocke an. Die Betglocke geht auf eine Verordnung des Grafen Ulrich II. (1628 – 1648) zurück. Im Jahr 1641 entdeckten Auricher im Eis des Stadtgrabens an mehreren Stellen rote Streifen, die wie Blut aussahen und wie Veilchen dufteten. Dabei handelte es sich möglicherweise um eine Moosart oder um Insektenausscheidungen. Die Menschen glaubten jedoch, darin ein Zeichen göttlichen Zorns zu sehen. Graf Ulrich forderte die Auricher daraufhin auf, zweimal am Tag Gott um Gnade anzurufen, woran der dreimalige Glockenschlag sie erinnern sollte.

1994/5 wurde der Turm aufwändig renoviert, wobei außer umfangreichen Ausbesserungsarbeiten am Mauerwerk die Holzkonstruktion im Inneren vollständig neu hergestellt und der Turmhelm neu eingedeckt wurde. Infolge erheblicher Sicherheitsvorschriften ist die allgemeine Besteigung des Lambertiturms leider nicht möglich.

Quellen:Delbanco, Hillard, Ein prägendes Wahrzeichen der Stadt. Anmerkungen zur Geschichte des Lamberti-Turms, in: Heimatkunde und Heimatgeschichte Folge 9, September 1995; Ostfriesische Nachrichten AurichMeinz, Manfred, Der mittelalterliche Sakralbau in Ostfriesland, Aurich 1966